OKR-Fallen und -Hilfen
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OKR-Fallen und -Hilfen
Im Jahr 2009 veröffentlichte die Harvard Business School ein Papier mit dem Titel „Verrückte Ziele“ (Goals Gone Wild). Der Artikel erklärte anhand mehrerer Beispiele die „zerstörerische Wirkung des übermäßigen Strebens nach Zielen“: explodierende Benzintanks beim Ford Pinto, überhöhte Preise in den Autowerkstätten von Sears, das explosive Wachstum der Verkaufsziele von Enron sowie die珠穆朗玛峰-Katastrophe von 1996, bei der acht Menschen starben. Die Autoren warnten: „Ziele sind wie ein verschreibungspflichtiges Medikament, das vorsichtig eingesetzt und streng überwacht werden muss.“ Die Autoren stellten sogar die Warnung auf: „Aufgrund von übermäßiger Fokussierung, unethischem Verhalten, vermehrtem Risikoverhalten sowie sinkender Zusammenarbeit und Motivation können Ziele systemische Probleme in Organisationen auslösen.“ Die negativen Auswirkungen von Zielsetzungen könnten die Vorteile aufwiegen – dies war die zentrale These des Artikels.
Lektüre von „Das ist OKR“
In meinem vorherigen Unternehmen habe ich drei Jahre lang OKR praktiziert. Da mein aktuelles Unternehmen gerade den Wechsel zu OKR plant, empfahl mir der Chef das Buch „Das ist OKR“ (https://yd.qq.com/web/reader/72332cb0716aecb27234506).
Ich brauchte zwei Wochen, um es Stück für Stück zu lesen, und möchte hier kurz und subjektiv einige ungefilterte Eindrücke teilen.
OKR steht für objectives and key results, was wörtlich „Ziele und Schlüsselergebnisse“ bedeutet.
Gemäß dem OKR-Modell von Google lassen sich Ziele in zwei Arten unterteilen: verpflichtende Ziele und visionäre Ziele. Für beide Arten gelten unterschiedliche Bewertungsansätze. Die Formulierung der Ziele erfordert sorgfältige Überlegung. Hierzu können Sie das Kapitel am Ende des Buches, Ressource 1 „Googles interne OKR-Vorlage“, oder diesen Link (https://www.whatmatters.com/resources/google-okr-playbook) zurate ziehen.
Auch bei der Festlegung der Schlüsselergebnisse ist sorgfältiges Nachdenken erforderlich. Man kann sich diese als Meilensteine vorstellen: Jedes Mal, wenn man voranschreitet, nähert man sich dem nächsten Meilenstein, bis das Ziel erreicht ist. Diese Meilensteine sollten idealerweise numerisch messbar sein, um den Zielerreichungsgrad zu prüfen und die Ursachen von Abweichungen zu analysieren.
Da die Schlüsselergebnisse im OKR ebenfalls numerisch messbar sein sollten, stellt sich die Frage nach dem Unterschied zu KPI. KPI steht für key performance indicator, also Schlüsselkennzahlen. Offensichtlich enthält KPI nicht ausdrücklich das Element „Ziel“.
Die blindwütige Vorgabe von Zahlenzielen ohne Zielkontext schadet Unternehmen vielfach – im Buch finden sich zahlreiche Beispiele hierfür.
Neben der Erklärung und Vermarktung von OKR wird ein weiteres wichtiges Instrument vorgestellt, das im hinteren Teil des Buches erscheint: das „kontinuierliche Leistungsmanagement“ mit dem Werkzeug CFR (Conversations, Feedback, Recognition), also Gespräche, Feedback und Anerkennung.
Der Fokus liegt hier auf Gesprächen des Vorgesetzten mit Mitarbeitern, um Feedback zu erhalten und Leistung zu würdigen. Zwar klingt das gut, doch in der Praxis kommt es häufig zu Missverständnissen und Selbstüberschätzung, da die Arbeit der anderen nicht vollständig durchschaut werden kann. Deshalb empfiehlt das Buch intensivere Gespräche. Was „intensiver“ genau bedeutet, bleibt unklar. Wie man vermeidet, dass „Gespräche“ zu „Druck“, „Feedback“ zu „Beschwerden“ und „Anerkennung“ zu „PUA“ werden, erfordert von beiden Gesprächspartnern gewisse Kommunikationsfähigkeiten.
Im zweiten Teil des Buches wird das „kontinuierliche Leistungsmanagement“ thematisiert, das auf den ersten Blick stärker an klassisches Leistungsmanagement erinnert. Mehrfach wird betont, dass der OKR-Erfüllungsgrad keinesfalls an das Gehalt gekoppelt werden darf, da dies zu verzerrten Zahlen führt und den alten, schädlichen KPI-Weg einschlägt.
Welche Indikatoren beeinflussen dann nach Einführung von OKR das Einkommen der Mitarbeiter? Hier liefert das Buch keine klare Antwort. Meiner Ansicht nach fügt OKR im Vergleich zum klassischen Leistungsmanagement die Dimension „Ziel“ hinzu. Möglicherweise steigt damit der Zusammenhang zwischen Ziel und Unternehmensinteresse, was wiederum die Chancen auf Beförderung und Gehaltserhöhung verbessert. Daher sollte man bei der Zielsetzung die Unternehmensinteressen berücksichtigen und Ziele formulieren, die den Unternehmensnutzen maximieren. Man sollte vermeiden, Ziele zu setzen, die dem persönlichen Vorteil dienen, aber dem Unternehmen schaden, wie z. B. das Ablegen von Zertifikaten, Fitnessübungen oder Work-Life-Balance. Zwar klingt das lächerlich, doch ich kenne einige Freunde, die diesen falschen Weg eingeschlagen haben.
Ein grobes Leistungsmanagement schadet dem Unternehmen – das ist eigentlich absehbar. Es überrascht mich daher, dass viele Unternehmen jahrelang KPI verwenden. Wie steht es heute um deren Unternehmenslage? Viele Entscheidungen halten einer logischen Prüfung nicht stand. Wenn einige logisch denkende Menschen sich zusammensetzen, gründlich diskutieren und kommunizieren, ist die Wahrscheinlichkeit größer, die richtigeren Entscheidungen zu treffen.
Fazit
Nach meinem üblichen Maßstab dienen Beispiele lediglich zum Verständnis und können keine Aussagen beweisen, nur widerlegen.
Dieses Buch weist folgende Mängel auf:
- Es führt einige Beispiele für KPI-Misserfolge an, kann jedoch nicht belegen, dass KPI völlig nutzlos ist, und kann auch nicht zeigen, dass alle KPI-Anwendungen durch den Ersatz durch OKR zum Erfolg führen.
- Um die Wirksamkeit von OKR zu belegen, werden einige erfolgreiche Unternehmen mit teilweise richtigen Entscheidungen zitiert, doch die Zahl der Unternehmen, die trotz OKR scheiterten, ist weitaus größer. Wenn man behauptet, die Scheitern sei auf „mangelnde Aufrichtigkeit“ zurückzuführen, ist OKR nichts weiter als ein weiterer Aberglaube.
- Der Unternehmenserfolg hängt von vielen Faktoren ab, wie z. B. Geschäftslage, Mitarbeiterleistung, Kundenzufriedenheit und Kundensupport. Keiner dieser Faktoren ist allein entscheidend.
- Es gibt einige Behauptungen, die nicht als wahr nachgewiesen werden können. Isolierte Beispiele, egal ob erfolgreich oder nicht, können nichts beweisen. Daher handelt es sich nicht um ein besonders strenges Buch.
Obwohl das Buch nicht besonders stringent ist, habe ich beim Lesen dennoch etwas gelernt – vielleicht waren es auch meine eigenen Gedanken: Menschen, die zusammenarbeiten, brauchen mehr Kommunikation. Transparenz als Unternehmenskultur zu fördern, stärkt den Zusammenhalt und ermöglicht es allen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen – so erhält man die Karte „Menschliche Harmonie“.